NEUE ÖSTERREICHISCHE LYRIK 1


HERZAUSWÄRTS
DIE STUMMHEIT DER SPRACHE



Titelbild


Marie Luise Habicher

Gedichte aus drei Jahrzehnten

Monika Migl-Frühling: Skulpturen, Zeichnungen
Eva Maria Walch: Initialen
G.K.N.: Kalligraphien

88 Seiten, broschiert
2004
Auflage: 400 Stück, € 19
ISBN 3-901735-14-3



Seite 34/35 (zum Vergrößern Bild anklicken)

Die Reihe "Am Herzen Europas" ist für mich ein Anliegen, das unterschiedliche Motive hat, politische, soziale, natürlich auch wissenschaftlichen Ehrgeiz, weiße Stellen auf der Landkarte der Literatur zu erkunden, mit Farbe zu versehen, ganz im Sinne großer Vorbilder meiner Kindheit, Hans Hass, der in den Tiefen des Meeres Wunderbares entdeckte, und Thor Heyerdahl. Ähnliches wollte ich in der Sprache erleben, eine verlorene Handschrift, ein Stück Gilgamesch-Epos, Ovid, Hildebrandslied finden. Diese Entdeckerfreude erlebe ich mit der Lyrik der Wenigerheiten.

Ich ärgere mich, wenn eine Vorlesung "Österreichische Literatur" heißt und dabei nur Deutsch schreibende AutorInnen zu Wort kommen. So heißt mein Beitrag zur österreichischen Literatur: "Österreichische Lyrik - und kein Wort Deutsch", die erste und bisher einzige Anthologie der autochthoen Wenigerheiten. Dabei habe ich trotz meiner scheinbaren Vielsprachigkeit mit den Resten der klassischen Mitnehmseln des Gymnasiums Paulinum in Schwaz, Latein und Griechisch, auch noch durch unter anderen die Lebensumstände in der Zeit nach dem Krieg holländisch, französisch, englisch, später italienisch, schwedisch, russisch und türkisch mehr oder weniger gelernt und so in keiner Sprache die Voraussetzung, Kompetenz und die Möglichkeit, Gedichte wirklich genießen oder überhaupt einigermaßen lesen zu können. Aber dieser unbefriedigende Zustand macht Appetit auf mehr.

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Ich habe also außer im Deutschen zu anderer Lyrik "naturgemäß" nur einen indirekten Zugang. Traduttore - traditore, sagt ein italienisches Sprichwort: Übersetzer - Verräter! So las ich dann in diesem Sinne, als ich Gedichte von Pablo Neruda auf Deutsch geschenkt bekam, keine einzige Zeile. Was soll das, dachte ich mir, das ist doch etwas ganz anderes, nicht mehr als eine Inhaltsangabe in vollkommen andere Form und Sprache gebrachtm Verfälschung, wenn nicht gar Fälschung - ja, eigentlich Pfusch! Das ist lange her!

Mich reizen die Ränder, dort wächst es besonders üppig im Gegensatz zu den ausgetretenen Wegen, dachte ich mir und wurde auch fündig. Ich wuchs auf mit Gedichten, zuerst die meines Großvaters, und lese seit Jahrzehnten fast nur Gedichte, als Jugendlicher und "dichtere" schon als Kind, rührend und komisch. Von der Universität wurde ich enttäuscht, denn ich hatte ganz naiv erwartet, dass man an der Germanistik dichten lerne, aber Dichtung war Primärliteratur, wir hatten nur Sekundäres zu liefern, lasen aber aus "Menschheitsdämmerung", Gedichte des dt. Expressionismus, anregend, und ch dachte immer noch, neben Maler auch Dichter, Schriftsteller zu werden, ja, zu sein.

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Denn als Deutschlehrer entdeckte ich die Gedichte meiner Schülerinnen und Schüler, staunend, was für Texte fast noch Kinder hervorzubringen imstande waren: Marie Luise Habicher, Peter Peintner, Jürgen Schäfer, Raoul Schrott... Und noch immer und wieder lese ich ihre, jetzt auch neue, Gedichte. Aber ich wollte ursprünglich nicht deutsche Gedichte veröffentlichen - nicht meine Verlagslinie, das machen andere.

Da passierte mir gerade in den letzten Monaten, dass ich Gedichte zu lesen bekam, die ich nun doch selbst veröffentlichen will; so beginne ich die Reihe: "Neue österreichische Lyrik" mit den wunderbaren Gedichten von Marie Luise Habicher.

Dazu, wie auch bei "Am Herzen Europas", werden namhafte Künstlerinnen und Künstler eingeladen, sich grafisch mit den Texten auseinanderzusetzen. Bei den Gedichten von Marie Luise Habicher ist es Monika Migl-Frühling.

Gerald Kurdoglu Nitsche